Kristallglanz | 2013 | Ausstellungsreihe in Vitrinen am Kurfürstendamm | Berlin
Renate Herter zur Vitrineninstallation von Seraphina Lenz
Die Recherche von Seraphina Lenz holt - anhand der Auflistung des Hausrates und der Wohnungseinrichtung - das Schicksal einer Familie vom Kurfürstendamm in Erinnerung, beispielhaft für viele andere, die – um das eigene Leben zu retten – alles, was sie besaßen, zurücklassen mussten und nur auf diese Weise überhaupt den Weg in die Emigration antreten konnten. Jeder noch so bescheidene Gegenstand war aufzulisten.
Diese Auflistungen standen jeweils am Beginn der dann folgenden Verfahren der Enteignung und wirtschaftlichen Existenzvernichtung jüdischer Familien, in die – von der Polizei über die Finanzämter bis zu den staatlich bestellten Sachverständigen –wesentliche Institutionen der Verwaltung eingebunden waren.
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Die ausgewählten Unterlagen zeigen die bürokratisch geführten Einnahmen von Versteigerungen, Briefe der Sachverständigen über den Wert von Möbeln und Schmuck, ebenso aber auch die Listen der Käufer dieser Dinge mit ihren Unterschriften für deren Barzahlung. Dieses weitgehend verdrängte Kapitel des Raubes zeigt anhand der Dokumente, dass im normalen Alltag der 30er und 40er Jahre viele Menschen bei den öffentlichen Versteigerungen von Möbeln, Hausrat und Geschirr an der Bereicherung beteiligt waren, ohne zu fragen oder wissen zu wollen, wem diese Dinge genommen worden waren und woher sie kamen, daß es in der Atmosphäre von Hetze und Verleumdung auch vielen durchaus rechtens erschien, jüdische Nachbarn zu denunzieren und mit staatlicher Erlaubnis Ansprüche auf deren Eigentum zu stellen.
Aus den Aufzeichnungen dieser Familie vom Kurfürstendamm 66 wählt Seraphina Lenz für ihre Installation eine Reihe von Dingen aus, mit einer inhaltlich wie auch ästhetisch überzeugenden Aussagekraft.
Der fragile Aufbau von Gegenständen aus den 30er Jahren leuchtet weit in die Straße hinein, nimmt für sich ein. Auf den ersten Blick wie ein prächtiges Warenangebot arrangiert, erschließt sich erst bei genauerem Hinsehen, dass hier etwas nicht stimmt: einige der Glasscheiben, auf denen Schalen und Trinkgefäße platziert sind, haben abgeschlagene Kanten, es sind Bruchstücke, die nicht ins Bild passen.
Visuell vielfältig, konzeptuell sparsam auf ein Material konzentriert, Dinge aus Glas, die alle in der Auflistung der Familie vom Kurfürstendamm zu finden sind, lassen viele Assoziationen zu: kleine Ver-Rückungen, die den ganzen Aufbau zum Einsturz bringen könnten, splitterndes Glas, eingeschlagene oder zerstörte Schaufensterscheiben. Die runde Versteigerungs- Marke auf der Vitrinenscheibe irritiert - erst zwei Texte auf dem Boden der Vitrine geben weitere Informationen, sie geben dem Wechselspiel zwischen heute und damals einen inhaltlichen Grund und lösen so schließlich die Camouflage und damit den Glanz und Warenschein auf.
Die Reihe "Spuren, Hohlräume, Leerstellen. Jüdisches Leben am Kurfürstendamm ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Universität der Künste Berlin, Institut für Kunst im Kontext und dem Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds im Rahmen des Themenjahres 2013 – Zerstörte Vielfalt – Berlin 1933 – 1938 – 1945
Künstler/innen: Bettina Allamoda, Arnold Dreyblatt, Renate Herter, Dominique Hurth, Alexander Jöchl, Atalya Laufer und Seraphina Lenz
Kuratorinnen: Renate Herter, Katja Jedermann, Historische Forschung: Sonja Miltenberger
Renate Herter about the showcase installation by Seraphina Lenz
Seraphina Lenz's research recalls the fate of a Jewish family that lived in Kurfürstendamm 66 during Nazi regime, exemplary for many others who – to emigrate and save their own lives – had to leave everything they owned behind. An extensive list of all their household items and furniture bears witness to this historical incident.
Such lists stood at the beginning of the subsequent procedures of expropriation and economic destruction of Jewish families, in which essential administrative institutions were involved, such as the police, the tax offices and the state-appointed experts.
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The selected documents record the bureaucratically managed proceeds of auctions, price estimates done by experts but also signatures from buyers, confirming their cash payments. This largely suppressed chapter of the theft of property from Jewish families demonstrates based on these documents how many people in the 1930s and 1940s were involved in the public auctions of furniture, household goods and tableware without showing any sign of interest in the origin of these objects or in the fate of their former owners. In the context of incitement, propaganda and slander, it also seemed quite right to many to denounce and betray their Jewish neighbors and – permitted by the state – make claims to their property.
From the list of sold household objects formerly owned by this family from Kurfürstendamm Seraphina Lenz has selected a series of items for her installation, with a convincing expressiveness in terms of both content and aesthetics.
The glow of the fragile structure of objects from the 1930s shines far out into the street, taking on a life of its own. Arranged at first glance like a magnificent display of goods, it only becomes clear on closer inspection that something is wrong: some of the glass panes on which the bowls and drinking vessels are placed have chipped edges, they are fragments that do not fit in and destroy the wholeness and calm of the image.
Visually diverse, conceptually concentrated on one material, things made of glass, all listed as former possessions of the family from Kurfürstendamm, Lenz’s installation allows for many associations: small shifts that could bring the whole structure to collapse, shattering glass, smashed or destroyed shop windows. The round auction mark on the pane of the showcase is irritating - only two texts on the bottom of the display case provide further information. By offering a context, they allow the interplay between the past and today to take place and thus finally dissolve the deception as well as the untainted brilliance and appearance of the objects as mere goods for sale.
The series "Traces, Voids, Blank Spaces. Jewish Life on Kurfürstendamm" is a cooperation project between the Berlin University of the Arts, Institute for Art in Context and the Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, funded by the Capital Cultural Fund as part of the 2013 theme year - Destroyed Diversity - Berlin 1933 - 1938 - 1945
Artists: Bettina Allamoda, Arnold Dreyblatt, Renate Herter, Dominique Hurth, Alexander Jöchl, Atalya Laufer and Seraphina Lenz
Curators: Renate Herter, Katja Jedermann, Historical research: Sonja Miltenberger